Für den unvorbereiteten Zuschauer ist das bewegte Bild des Ischler Schwerttanzes zwar vielleicht interessant und in seinen Bewegungen schön, was aber hat er zu bedeuten? Was geschieht eigentlich? Wir beobachten, dass zwei ungleiche Parteien den Tanz bestreiten: eine Mehrzahl von weiß gekleideten Schwerttänzern und ein koboldähnlicher Schalksnarr. Was die Schwerttänzer darstellen, ist gewiss kein wilder Waffentanz, das Schwert dient vielmehr nur dazu, das Glied einer Kette zu bilden. Mit Drehungen und Sprüngen, Spiralen („Schnecken“) und „Achtern” wird ein kunstvolles Linienornament getanzt. Oft laufen die Tänzer durch die Tore der hochgehaltenen oder sie springen über die tiefgehaltenen Schwerter oder durch ein Schwertfenster, das aus einem hoch- und einem tiefgehaltenen Schwert gebildet wird.
Man spricht daher auch von einem „Kettenschwerttanz”. Etwas Geheimnisvoll-Unsichtbares soll durch die Kette verdeutlicht werden. Es ist klar, dass der Schalksnarr von den Tänzern als Störenfried empfunden wird. Er treibt zwar meist außerhalb des Tanzkreises seine Späße, versucht aber immer wieder, diesen Kreis zu stören und zu durchbrechen, bis er schließlich erwischt und gewissermaßen zur Strafe geköpft wird. Er bleibt leblos liegen, bis er – durch Berührung mit den Schwertspitzen der Tänzer – wieder zum Leben erweckt, aufspringt und das Weitertanzen ermöglicht, das mit der Erhebung des Vortänzers auf die zu einem Schild geflochtenen Schwerter gekrönt und beendet wird.
Das Töten und Wiedererwecken eines Mannes im Kult führt uns bis in die Zeit der noch schriftlosen Überlieferungen zurück. Ähnliches finden wir bei fast allen Naturvölkern. Vielfach ist es der Medizinmann oder Schamane, der solchen Tötungszauber ausübt, dem der Wunsch nach Wiedergeburt, Fruchtbarkeit, Heilung oder Regen zugrunde liegt. Einer muss sterben, damit das Leben weitergeht, die Saat gedeiht, ein Mensch gesund wird, oder dass es nach langer Dürre wieder regnet. Oft wurden diese Tänze – in der Regel Männertänze, wie auch unser Schwerttanz – anlässlich von Jünglingsfeiern getanzt, wenn heranreifende Burschen in den Kreis der waffenfähigen Männer aufgenommen wurden. Nicht nur Mut, sondern auch Geschicklichkeitsproben waren dabei zu bestehen. Der Tanzforscher Richard Wolfram meint, dass auch der Sprung durch das Schwertfenster, das Durchgehen durch künstliche Tore und enge Öffnungen, wie wir es auch noch von den heutigen Schwerttänzern kennen, Rest eines alten Wiedergeburtsritus ist.
Wenn somit der eigentliche Ursprung des Schwerttanzes sich in der Vorzeit verliert, so sind die tatsächlichen Aufzeichnungen über seine historische Erscheinungsform eher spärlich. Wenn wir davon ausgehen, dass die Kettenschwerttänze untereinander eng verwandt sind – der Nachweis darüber wurde längst erbracht -, kommen wir in Flandern, dem heutigen Belgien, immerhin bis in das 14. Jahrhundert. Der ursprünglich verwandte, in späterer Zeit aber zu einem reinen Knappentanz umgebildete Halleiner Schwerttanz lässt sich schon 1586 nachweisen. Den Ischler Schwerttanz erwähnt der Forstbeamte Johann Steiner in seinem berühmten „Reisegefährten durch das Salzkammergut” 1832, aber den eng verwandten Schwerttanz von Aussee ließ Erzherzog Johann schon 1808 aufzeichnen. Bereits 1770 wird eine Schwerttanzaufführung der Schiffleute von Stadl-Paura, die ebenfalls zum Salzkammergut-Kulturkreis gerechnet werden müssen, erwähnt und beschrieben.
Auf das hohe Alter des Schwerttanzspieles weist auch die Besetzung der Begleitmusik hin: sind es in Ischl „ein oder zwei Pfeifer und 1 Tambour” (Steiner), so hatte z. B. in Lauffenbach bei Schärding im Innviertel nur die Trommel allein für die Begleitung zu sorgen. Dies erinnert an ganz urtümliche Tanzrhythmik, wie wir sie von den Naturvölkern kennen.
Die gegenwärtig von der Garde der Stadt Bad Ischl vorgeführte Form des Schwerttanzes beruht im wesentlichen auf der Überlieferung des Salzkammergut-Schwerttanzes, den wir uns als gemeinsame Grundform aller Salinenorte vorzustellen haben, in Ebensee, wo er noch vor 50 Jahren von alten Überlieferungsträgern an den dortigen Trachtenverein weitergegeben werden konnte. Der Text war allerdings fast zur Gänze verloren gegangen und damit auch die ursprüngliche Sinndeutung. Nur der Tanzablauf bzw. die Tanzfiguren und -schritte wurden überliefert. In der Nachkriegszeit hat die Sing- und Spielgruppe oberösterreichischer Lehrer in Linz den Tanz wieder aufgegriffen. Der letzte Schwerttänzer aus Lauffenbach hat den Tanz an diese Gruppe weitergegeben, hier liegt also die Überlieferungsbrücke vor. Der heutige Ischler Schwerttanz ist wesentlich kürzer als das alte Schwerttanzspiel, wie wir es aus Deutsch-Mokra kennen. Aber es sind in ihm alle Elemente des altehrwürdigen Kulttanzes erhalten. Mögen sie auch wieder als das verstanden werden, was sie sind: ein wertvolles und zugleich sinnvolles Dokument europäischer Kulturgeschichte.
© Franz C. Lipp